CEO-Duell: David ärgert Goliath

Nur wenige CEOs ziehen so viel Aufmerksamkeit auf sich wie der Chef der Deutschen Bahn. Auch das Start-up Flix ist mit seiner Busflotte inzwischen zum Monopolisten geworden. Bahn-Chef Richard Lutz imCEO-Duell mit Flixbus-Gründer André Schwämmlein


Wer beim Bewertungsportal Trustpilot nach Kundenmeinungen zu Deutscher Bahn, Flixbus und Lufthansa sucht, wird feststellen, dass alle Unternehmen mit nur einem Stern bewertet werden. Sie sind beim Kunden ähnlich unbeliebt. Doch was bedeutet das für die öffentliche Wahrnehmung der Konzernchefs? Und wie positionieren sie sich im Kampf um Kunden und Marktanteile?

Die Geschichte vom David-gegen-Goliath-Kampf der Mobility-Branche beginnt bereits im Jahr 2009, als ein paar findige Studenten eine Lücke im gesetzlich verbrieften Monopol der Deutschen Bahn finden, das noch auf dem Personenbeförderungsgesetz aus dem Jahr 1934 basiert. Wenn sich Menschen zusammenschließen und gemeinsam einen Bus mieten, handelt es sich dabei nicht um den geschützten Linienverkehr und unterliegt damit auch nicht den gesetzlichen Beschränkungen. Der Staatskonzern bekämpfte das “Treiben” der jungen Gründer mit allen Mitteln und unter großer öffentlicher Anteilnahme. Doch die Bahn verlor. Der Fernbusmarkt wurde schließlich liberalisiert.

Es war die Zeit, als sich in München drei andere junge Unternehmer über mögliche Geschäftsmodelle unterhielten. Sie kannten sich bereits aus der Schulzeit und hatten erste Startup-Erfahrung gesammelt. Einer von ihnen hatte schon während der Schulzeit Ski-Busreisen organisiert. Mit dabei war auch der junge Boston-Consulting-Group-Berater André Schwämmlein, Diplom-Wirtschaftsingenieur und bekennender Fahrradfahrer ohne eigenes Auto. „Uns war direkt klar, dass dies eine Once-in-a-lifetime-Chance für uns drei sein kann. Wir haben schnell gemerkt, dass wir zusammen etwas wirklich Erfolgreiches auf die Beine stellen können“, sagte er später in einem Interview. So entstand die Vision, nachhaltiges Reisen bequemer, flexibler und bezahlbar zu machen. Busreisen auf modern – ohne das angestaubte Image der Kaffeefahrten und Schulausflüge.

André Schwämmlein - im Bild rechts, hier zu sehen mit seinen Mitgründern Daniel Krauss und Jochen Engert. Foto: Flix

Ende 2012 startete das Unternehmen zunächst unter dem Namen GoBus mit vier täglichen Linien in Süddeutschland. Nach wenigen Monaten erfolgte die Umbenennung in Flixbus. Es war der Beginn einer fast beispiellosen Wachstumsgeschichte. Durch geschickte Übernahmen und Fusionen wurde das Start-up in nur drei Jahren selbst zum unangefochtenen Herrscher über den neuen Markt für Fernbusreisen. Heute sind die knallgrün gebrandeten Busse fester Bestandteil des Straßenbildes deutscher Innenstädte und Autobahnen geworden.

Kern des Erfolgsgeheimnisses ist das Plattformmodell. Ähnlich wie bei den US-Unternehmen Uber und Airbnb besitzt Flix keine eigenen Fahrzeuge, was dem Unternehmen eine schnelle Skalierung bei geringem Kapitalbedarf erlaubte. Im Heimatmarkt Deutschland kontrolliert Flix seit 2018 bereits rund 95 Prozent des Marktes. Der einstige Herausforderer ist damit selbst zum Monopolisten geworden. Weil weiteres Wachstum so schwierig ist, ist Flix inzwischen in über 30 Länder expandiert. Und trotzdem hat man bei André Schwämmlein das Gefühl, dass er gerade erst anfängt.

Im März 2017 übernahm Richard Lutz den Vorstandsvorsitz der Deutschen Bahn, den damals, so schien es, niemand anderes wollte. Lutz war der erste Bahnmanager, der an die Spitze des Staatsbetriebs rückte, bei dem er 1994 seine Karriere begonnen hatte. Schon sein Vater arbeitete in Kaiserslautern in einem Ausbesserungswerk der Bundesbahn. Die Mutter war Sekretärin bei der Bahn. Der Betriebswirt Lutz hatte nach seinem Studium im Controlling angefangen und es mit penibler Genauigkeit bis zum Finanzvorstand gebracht.

Richard Lutz - Die Bahn-Mitarbeiter schätzen ihn als einen der ihren. Foto: DB

Die Situation der Bahn war damals so verheerend, dass Lutz im September 2018 einen erstaunlichen „Brandbrief“ an mehr als 1.000 Führungskräfte seines Unternehmens schickte. Das Dokument glich einem verzweifelten Appell: Der Konzern befinde sich „in einer schwierigen Situation“. Das Unternehmen müsse „zusammenrücken und den Systemverbund Bahn wieder auf Kurs bringen“, schrieb Lutz. Im Sommer 2018 waren 76 Prozent der Züge pünktlich. Die Verschuldung der Bahn lag knapp unter der magischen Grenze von 20 Milliarden Euro. Seitdem sind die beiden wichtigen Kennzahlen immer weiter abgerutscht. Der Schuldenberg ist auf fast 30 Milliarden gewachsen. In der dritten Mai-Woche 2022 sank die Pünktlichkeit im deutschen Fernverkehr laut einer Untersuchung des „Spiegels“ unter 60 Prozent. Die Deutsche Bahn hat 2022 so viele Negativschlagzeilen produziert, dass der Grünen-Politiker Anton Hofreiter bereits die Amtseignung von Lutz infrage stellte.

Wie ist ihr Bild in der Öffentlichkeit?

Schwämmlein tritt oft im grünen Hoodie auf. Auf Fotos im Ikea-möblierten Büro grinst er dabei oft und wirkt genauso sympathisch-jugendlich wie vor zehn Jahren beim Start des Unternehmens. Schwämmlein ist unumstritten ein Star der deutschen Gründerszene geworden. Spätestens seit der Übernahme der amerikanischen Ikone Greyhound im Herbst vergangenen Jahres gilt er als einer der wenigen deutschen Start-up-Chefs, die es geschafft haben, den amerikanischen Markt zu erobern. Er hat aus dem Nichts ein völlig neues Produkt geschaffen. Er bietet Busreisen und wird dank kluger Buchungs- und Prognosesoftware trotzdem als Technologieunternehmer wahrgenommen.

Im Frühjahr verkündete Flix, dass Schwämmlein künftig allein an der Spitze seines Unternehmens stehen werde. Quasi nebenbei kam auch die Ankündigung, dass die Bahnverbindungen von Flixtrain im Sommer auf 70 Halte verdoppelt werden sollen. Es scheint, als würden negative Kundenbewertungen im Internet an ihm einfach abperlen. Bahnchef Lutz hat es in der Öffentlichkeit schwerer, was zum Teil an seiner zurückhaltenden Persönlichkeit liegt, zum Teil an der Tatsache, dass für einen mit Steuermitteln bezuschussten Staatskonzern deutlich strengere Maßstäbe angelegt werden. „Viel versprochen, wenig gehalten“, titelte die „WirtschaftsWoche“ Mitte Mai in einem Artikel über die „unterirdischen Leistungen“ der Bahn. Verkehrsexperten wissen, dass der Bahnchef dafür nicht die alleinige Verantwortung trägt. Nur 88 Euro pro Einwohner investierte die Bundesregierung im Jahr 2020 in den Ausbau der Schieneninfrastruktur. In Österreich lag der Wert bei 249 Euro. In der Schweiz sogar bei 440 Euro.

Die Mitarbeiter der Bahn schätzen Lutz und sehen in ihm einen der ihren. Ein Top-Manager, der zuhören kann und sich auch nicht zu schade dazu ist, am „Servicetag“ selbst an der Essensausgabe der Bahnhofsmission am Zoologischen Garten zu stehen. Doch der breiten Öffentlichkeit reicht das nicht.

Wer hat die bessere Medienpräsenz?

3.330 deutsche Presseerwähnungen verzeichnete der Bahnchef in den vergangenen zwölf Monaten – deutlich mehr als sein Herausforderer André Schwämmlein, der im gleichen Zeitraum nur auf 271 Artikel kam. Auch in den sozialen Medien ist die Kluft groß: Während Richard Lutz in den vergangenen zwölf Monaten in 15.892 Posts und Beiträgen erwähnt wurde, kam Schwämmlein im gleichen Zeitraum immerhin auf 2.502 Nennungen. Doch nur 2,1 Prozent der Posts über Lutz waren positiv. Bei Schwämmlein liegt der Wert immerhin bei satten 9,2 Prozent. Die Geschichte des erfolgreichen Gründers ist attraktiver als die des semi-staatlichen Mängelverwalters. Im „Startup Communication Monitor“ der Kommunikationsberatung Keynote, der im März erstmals die Medienpräsenz der deutschen EinhornChefs untersuchte, rangierte Schwämmlein mit Abstand an erster Stelle, gefolgt von Gorillas-Gründer Kağan Sümer.

Wo treten sie auf?

André Schwämmlein genießt erkennbar seine Auftritte auf zahllosen Konferenzen, Kongressen und auch in Podcasts, die ihn stets als großen Innovator und furchtlosen Bahn-Herausforderer präsentieren. Er spielt die Rolle auch deshalb so überzeugend, weil er die Mission des nachhaltigen Bahnkonkurrenten selbst perfekt verkörpert. Er ist Mitglied des Wirtschaftsbeirats der grünen Bundestagsfraktion und saß bereits als 20-Jähriger für die Partei im Kreistag von Fürth. Schwämmlein ist ein CEO mit einer Botschaft und die Bühne ist sein Zuhause.

Lutz wirkt stets so, als würde er sich eigentlich lieber im Hintergrund halten. Er scheint auch kein Problem damit zu haben, wenn andere Bahn-Vorstände wie Cargo-Chefin Sigrid Evelyn Nikutta das Rampenlicht suchen. Dass auch er sich nicht verstecken muss, bewies Lutz im April, als er als erster deutscher Bahn-Chef an der zentralen HolocaustGedenkveranstaltung in Yad Vashem in Jerusalem teilnahm. „Es erfüllt mich mit Scham, tiefer Trauer und einer gewissen Fassungslosigkeit, dass eine Organisation wie die Reichsbahn Teil einer Mordmaschinerie werden konnte“, sagte er nach der viel beachteten Veranstaltung. Für seine Rede erhielt Lutz viel Zuspruch.

Wer berät sie?

Seit Anfang vergangenen Jahres steuert Andrea Koepfer in der neu geschaffenen Position der Direktorin Communications, Public Affairs & Responsibility die öffentliche Wahrnehmung von Flix. Die erfahrene Kommunikatorin war zuvor als Vice President Communications für Ceconomy und Mediamarkt Saturn zuständig und kann auf vorherige Stationen bei Axel Springer, Epson und dem Shoppingsender QVC verweisen. Lutz wird von einem riesigen Stab erfahrener Kommunikations- und Politik-Profis unterstützt, darunter Kommunikationschef Oliver Schumacher, der ehemalige „SZ“-Journalist, der von 2003 bis 2006 Sprecher der NRW-Landesregierung war. Dagmar Kaiser ist die Leiterin der Pressestelle und die ehemalige TV-Journalistin Anja Bröker leitet den Newsroom.

Bisherige Hoch- und Tiefpunkte?

Für Flix und die Deutsche Bahn war die Coronakrise sicherlich die größte Herausforderung der vergangenen Jahre. Doch während die Bahn ihr Netz ausdünnte und sich mit Staatshilfen über Wasser hielt, musste Flix sein Unternehmen zur Vollbremsung zwingen und fror sämtliche Busverbindungen für mehrere Monate komplett ein. „Es war einer der emotionalsten und schwersten Momente“, sagte Schwämmlein später in einem Interview. Doch er verstand es, die Pause für sich zu nutzen. Die Züge von Flixtrain wurden in den Wochen des Stillstands gründlich umgebaut und modernisiert. Die Wachstumsgeschichte ging weiter.

So schaffte es Flix, bei einer Finanzierungsrunde im Sommer 2021 eine Bewertung von drei Milliarden Dollar zu erreichen. Und die Blessuren der Coronakrise scheinen längst verwunden. Ganz anders als bei der Bahn, wo Corona den Beginn einer nicht enden wollenden Krisenphase markierte.

Der Sieger im CEO-Duell…

… ist André Schwämmlein, auch wenn seine Sichtbarkeit und Bekanntheit noch lange nicht an die von Bahnchef Lutz heranreicht. Doch Positionierung ist kein Wettrennen. Seine Rolle verkörpert Schwämmlein überzeugender. Beim Wettkampf David gegen Goliath gilt die Sympathie der Zuschauer fast immer dem Herausforderer.

Janis Vougioukas ist Managing Partner der Kommunikationsberatung KEYNOTE.
Erschienen im Magazin KOM Ausgabe 3/22

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