CEO-Duell: Krieg als Haltungstest

Wie sollen multinationale Unternehmen mit ihrem Russlandgeschäft umgehen und ihre CEOs sich positionieren, wenn Kriegsbilder die Welt schocken? Der Softwarekonzern SAP und der Baumaterialhersteller Knauf in der Analyse

In Friedenszeiten war es für CEOs vergleichsweise einfach, ihr Unternehmen als verantwortungsbewusst zu präsentieren. Wer in den vergangenen Jahren einen einigermaßen schlüssigen Nachhaltigkeitsbericht mit Zielen für das Klima und Diversität vorweisen konnte und nicht gerade Steuerflucht betrieb, galt bereits als guter „Corporate Citizen“. Nachhaltig, klimafreundlich, verantwortlich – für viele Unternehmen war eine gute Reputation beinahe selbstverständlich.

Seit dem Krieg in der Ukraine haben sich die Parameter grundlegend verschoben. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten – globale Boykotte hatte es in der Vergangenheit gegen das Apartheidregime in Südafrika und die Militärdiktatur in Myanmar gegeben – sind die CEOs von multinationalen Konzernen gezwungen, Farbe zu bekennen. Dürfen Unternehmen weiter Geschäfte mit Russland machen, während Wladimir Putin einen gnadenlosen Angriffskrieg gegen ein europäisches Land führt? Können Wirtschaftsunternehmen in einem Konflikt wie diesem „neutral“ sein? Spätestens seitdem Bilder von mutmaßlich russischen Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung die Weltöffentlichkeit schockieren, hat die Frage noch einmal an Dringlichkeit gewonnen.

Als eines der ersten Markenunternehmen erwischte es Ritter Sport. „Quadratisch. Praktisch. Blut“, twitterte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, weil die Schokoladen-Dynastie aus Waldenbuch trotz des Krieges an seinem Russlandgeschäft festhält. Die Folge war ein Shitstorm in den sozialen Netzen, der für die Marke eine ernsthafte Bedrohung werden könnte. Doch auch zahlreiche andere Unternehmen, die in der Vergangenheit Geschäfte mit Russland machten oder Niederlassungen in dem Land betreiben, müssen sich öffentlich erklären. Manch einer gerät dabei ins Schlingern.

Ein Beispiel ist der Dax-Konzern SAP. Während der Softwareriese in den ersten Wochen noch versuchte, an seinem Russlandgeschäft festzuhalten, musste SAP aufgrund des öffentlichen Drucks schließlich eine Kehrtwende vollziehen. Ende März gaben die Walldorfer bekannt, alle Verkäufe in Russland und auch den Cloud-Betrieb in dem Land einzustellen. Lediglich das Lizenzgeschäft mit bestehenden Kunden sollte weiter betrieben werden. Ende April gab SAP dann bekannt, sein Russlandgeschäft vollständig aufgeben und auch Geschäftsbeziehungen zu den Bestandskunden beenden zu wollen.

Die SAP-Zentrale in Walldorf. Foto: SAP

Kritik am SAP-Kurs auch von Mitarbeitern

Nach Ausbruch des Krieges hatte SAP das Neukundengeschäft gestoppt, ansonsten jedoch weite Teile des Betriebs in Russland weitergeführt. CEO Christian Klein musste sich daraufhin nicht nur in der Öffentlichkeit scharfe Kritik anhören. „Halbtöne darf es heute nicht geben! Es gibt nur schwarz und weiß, gut und böse! Sie sind entweder für den Frieden oder Sie unterstützen den blutigen russischen Aggressor bei der Ermordung ukrainischer Kinder und Frauen“, twitterte der ukrainische Vizepremierminister und Minister für digitale Transformation, Mykhailo Fedorov. Auch bei den Mitarbeitern kam Kleins Schlingerkurs offenbar nicht gut an. Dem „Handelsblatt“ zufolge beriefen sich Mitarbeiter in internen Belegschaftsforen auf die Ethikrichtlinie des Konzerns und forderten einen weitreichenden Stopp des Russlandgeschäfts. Dabei hatte sich Klein unmittelbar nach Kriegsbeginn zumindest verbal deutlich positioniert: „Wie der Rest der Welt beobachten auch wir den Krieg in der Ukraine mit Entsetzen und verurteilen die Invasion aufs Schärfste. Diese rücksichtslose und ungerechtfertigte Handlung ist ein Angriff auf Demokratie und Menschlichkeit, und ihre Folgen betreffen uns alle“, erklärte der SAP-CEO Anfang März. Weil der Konzern jedoch keine klaren geschäftlichen Konsequenzen zog, wuchs die Kritik. In einer Pressemitteilung drei Wochen später musste sich der Konzern deshalb noch einmal erklären. Unter der Überschrift „SAP ist weiterhin solidarisch mit den Menschen in der Ukraine“ zählte das Dax-Unternehmen zahlreiche Aktivitäten auf, mit denen der Konzern ukrainische Flüchtlinge und Organisationen wie das Rote Kreuz in dem Konflikt unterstützt.

Gips-Könige bleiben in Russland

Deutlich wortkarger ist man bei Knauf in Unterfranken, Weltmarktführer für Baustoffe. Ende Februar teilte die Gruppe knapp mit, dass man „aus Sicherheitsgründen“ zwei Werke in der Ukraine geschlossen habe. An dem für das Unternehmen wichtigen Russlandgeschäft, das Berichten zufolge rund zehn Prozent des Gesamtumsatzes von zwölf Milliarden Euro ausmacht, hält man jedoch unbeirrt fest. Die Folge war eine wachsende Welle der Kritik, auch in sozialen Medien. „Knauf arbeitet in Russland – das ist ein blutiges Geschäft. Bitte stoppen Sie alle Aktivitäten in einem Land, (…) das Zivilisten, Frauen und Kinder tötet“, lautete einer von zahlreichen Kommentaren, mit denen Nutzer ihrer Wut auf das Unternehmen auf Facebook und Twitter Luft machten. Eine Antwort der Kommunikationsabteilung findet sich auf den sozialen Kanälen des Unternehmens nicht. Auch Alexander Knauf, der seit 2021 die Gruppe als Sprecher der Geschäftsführung leitet und dessen Familie zu den reichsten in Deutschland gehört, äußerte sich bis Ende April nicht. Dabei war man bei Knauf lange stolz auf die guten Beziehungen nach Russland, die Berichten zufolge bis in den Kreml reichen. 2018 mietet das Unternehmen das Moskauer Bolschoi-Theater, um das 25-jährige Geschäftsjubiläum zu feiern, meldet die „Süddeutsche Zeitung“. Gerhard Schröder hielt eine Rede, der russische Industrieminister war Ehrengast. Nikolaus Knauf, der Familienpatriarch, bezeichnete sich in der Vergangenheit selbst stolz als „Putin-Versteher“. Der Kreml-Chef verlieh dem Gipskönig einen Freundschaftsorden.

Die Yale-Liste der geächteten Unternehmen

Seit Kriegsausbruch herrscht bei der Familie Knauf jedoch Stille. Öffentlich sprechen nur andere. „Wir haben in Russland Verantwortung für circa 4.000 Mitarbeiter und deren Familien sowie für Kunden und Lieferanten, mit denen wir teilweise seit Jahrzehnten zusammenarbeiten“, sagte der für Russland zuständige Manager Uwe Knotzer der „Main Post“. Im Übrigen liefere der Baustoffhersteller „keine Waren an den Kreml oder das russische Militär“. Offenbar versucht man bei Knauf, das Bild der großen Nähe zum Kreml zu korrigieren. Das Unternehmen teilt mit, dass man Wohnungen für mehr als 100 ukrainische Flüchtlinge bereitgestellt habe. Anfang März soll Nikolaus Knauf sein Ehrenamt als Honorarkonsul der russischen Föderation in Nürnberg niedergelegt haben. „Eine Begründung für den Schritt wurde nicht genannt“, schreibt der Bayerische Rundfunk. Ob das reicht, um die wachsende internationale Kritik zu dämpfen? Der Wirtschaftsprofessor Jeffrey Sonnenfeld von der US-amerikanischen Universität Yale hat eine mittlerweile international aufmerksam verfolgte Liste von Firmen erstellt, die trotz des Krieges uneingeschränkt weiter in Russland Geschäfte machen. Neben Unternehmen wie Bayer, Ritter Sport und Metro steht dort der Name Knauf. Der Spagat zwischen Geschäftsinteressen in Russland und Sanktionsforderungen im Westen dürfte die Unternehmen, die noch Geschäfte in Russland betreiben oder diese nur vorübergehend auf Eis gelegt haben, noch länger beschäftigen. Dabei wird der weitere Kriegsverlauf und ob Russland möglicherweise geächtete Chemiewaffen einsetzt oder weitere Kriegsverbrechen begeht, genauso eine Rolle spielen wie die Reaktionen der Konsumenten. Noch sind die Boykottaufrufe gegen Firmen eher vereinzelt, doch das kann sich schnell ändern. Wie sind die CEOs von SAP und Knauf für den weiteren Verlauf dieses Krieges positioniert?

Wie groß ist das Reputationsrisiko?

Trotz des anfänglichen Schlingerkurses hat SAP-Chef Christian Klein keinen Zweifel daran gelassen, dass er den Krieg gegen die Ukraine verurteilt und das auch klar formuliert. Der öffentliche Druck auf Unternehmen nahm stetig zu. Mit Bekanntgabe des Rückzugs von SAP aus Russland entstehen zwar erhebliche geschäftliche Herausforderungen. Das Reputationsrisiko für Klein selbst und auch den Konzern ist begrenzt. Anders die Lage bei Alexander Knauf, der als Vertreter der Eigentümerfamilie für den bisherigen Russland-freundlichen Kurs der Knaufs in der Verantwortung steht. Bislang hat Knauf es versäumt, sich klar von Putin und dem Krieg zu distanzieren. Sollte der Druck der Öffentlichkeit steigen und sich Kunden möglicherweise zu einem Boykott von Knauf-Produkten entscheiden, kann er kommunikativ kaum dagegen steuern. Das Reputationsrisiko für Alexander Knauf persönlich und sein Unternehmen ist deshalb beträchtlich.

Wer berät sie?

Bislang steuert SAP-Mann Oliver Roll die Kommunikation des Softwareriesen von Kalifornien aus und ist damit auch für die Positionierung von Christian Klein verantwortlich. Tina Kulow von Meta wird demnächst zu den Walldorfern wechseln. Bei dem als verschwiegen geltenden Mittelständler Knauf leitet Andreas Gabriel seit mehr als zehn Jahren die Unternehmenskommunikation und dürfte in dieser Funktion auch die Geschäftsführer beraten.

Einen Sieger im CEO-Zweikampf…

… gibt es nicht, weil Kriege nur Verlierer kennen. Trotzdem zeigte sich SAPChef Christian Klein für Kommunikationsrisiken durch den Krieg deutlich besser gerüstet als Alexander Knauf, der bislang auf eine professionelle, dialogorientierte Kommunikation verzichtet. Da immer mehr Unternehmen Foto: Keynote wie zuletzt auch Henkel sich komplett aus Russland zurückziehen, dürfte der Druck auf diejenigen weiter steigen, die dort präsent bleiben. Interessant ist der Vergleich der beiden Unternehmenslenker jedoch vor allem deshalb, weil der Konflikt in der Ukraine die künftigen Herausforderungen der CEO-Positionierung aufzeigt. Nicht nur gegenüber Russland, sondern auch in wichtigen Märkten wie China dürfte die ideologische Konfrontation künftig zunehmen. Damit werden auch multinationale Unternehmen immer häufiger zur Zielscheibe der öffentlichen Meinungen.


Dr. Harald Maass ist Gründer und Managing Partner der Kommunikationsberatung KEYNOTE.
Erschienen im Magazin KOM Ausgabe 2/22

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