CEO-Duell: Auf laut folgt still

Joe Kaeser stand als Siemens-Chef wie kaum ein anderer deutscher CEO im Rampenlicht. Sein Nachfolger Roland Busch startete zurückhaltend. Ein Vergleich von Vorgänger und Nachfolger

Die große Abschiedsparty konnte im Corona-Winter nur virtuell stattfinden. Dabei ging es um nichts Geringeres als das Lebenswerk von Joe Kaeser, der 40 Jahre bei Siemens verbracht hatte und das Unternehmen als CEO nach schweren Krisenjahren mit Großrazzien, Korruptionsaffären und mehreren Gewinnwarnungen wieder in die Weltspitze geführt hatte. Kaeser war Siemens und Siemens war Kaeser.

Er verstand es, den Konzern zu seiner Plattform zu machen, die er oft auch ungefragt für politische Mahnungen und präsidial anmutende Ruckreden nutzte. Besser als alle anderen deutschen CEOs hatte Kaeser verstanden, womit sich deutsche Top-Manager noch immer schwertun: den Show-Aspekt des Managements. Er war viele Jahre der sichtbarste deutsche Unternehmensrepräsentant, dessen Bühnenqualitäten, Tweets und Talkshowauftritte ihn als einzigen Deutschen in die Nähe der amerikanischen Celebrity-CEOs wie Jeff Bezos und Elon Musk rückten. Und er sonnte sich in der Aufmerksamkeit, während andere Wirtschaftsführer darüber oft den Kopf schüttelten.

Joe Kaeser – Kaesers Tweets machten ihn zum „Social CEO“. Seine Medienauftritte verliefen nicht immer glücklich. Ein Interview im „Heute Journal“ mit Claus Kleber nach Kaesers Putin-Treffen von 2014 ist ein Lehrstück, wie man es nicht machen sollte. Foto: Siemens

Am 3. Februar übergab Kaeser den Staffelstab an seinen Nachfolger Roland Busch, der viele Monate geduldig im Hintergrund auf seinen Amtsantritt gewartet hatte. Zum ersten Mal seit 30 Jahren steht damit wieder ein Techniker an der Spitze des deutschen Traditionskonzerns. Einer, der mit Begeisterung über die Schließsysteme von S-Bahn-Türen spricht und seine Dissertation zum Thema Hochtemperatursupraleiter verfasste. Zuweilen wirkt Busch wie das genaue Gegenteil von Kaeser. Denn trotz seiner freundlichen Art und des gewinnenden Lächelns fehlen ihm sichtbare Entertainer-Qualitäten. Führungsstil und Persönlichkeiten der beiden Spitzenmanager könnten unterschiedlicher kaum sein. Es war ein Wechsel von laut zu still.

Wie ist ihr Bild in der Öffentlichkeit?

Bei seinem Amtsantritt 2013 hatte Joe Kaeser angekündigt, Ruhe in den Konzern zu bringen. Was in den sieben Jahren danach passierte, mögen viele Siemensianer wie das genaue Gegenteil empfunden haben, auch wenn der Erfolg ihm schließlich recht gab. Er zerlegte den Konzern in Teilbereiche, die er als eigenständige Firmen an die Börse brachte. Er verkündete Entlassungswellen, Sparprogramme und immer neue Kostensenkungen. Er wirkte dabei oft rastlos, getrieben von den internationalen Kapitalmärkten. Immer wieder stieß Kaeser mit seinen Auftritten Mitarbeiter und die Öffentlichkeit vor den Kopf, etwa als er auf dem Höhepunkt der Krim-Krise den russischen Präsidenten Wladimir Putin traf oder in Davos beim Dinner neben US-Präsident Donald Trump Platz nahm.

Kaeser wurde im Juni 1957 geboren, ein Arbeiterkind, Sohn eines Mechanikers und einer Friseurin aus dem kleinen niederbayerischen Dorf Arnbruck. Vielleicht liegt dort, irgendwo tief im Bayerischen Wald, der Grund, warum Kaeser so oft wie einer wirkte, der es immer allen beweisen musste. Der sich selbst gerne dabei zuhörte, wie er über seine Erfolge sprach. Doch Kaeser verstand es, seine Prominenz für das Unternehmen zu nutzen. Auf der ganzen Welt standen Kunden Schlange für einen Termin mit dem bekanntesten deutschen Manager. Mit seinen pointierten Tweets über den „kiffenden Kollegen“ Elon Musk und die „Kopftuchmädchen“ schrieb er ein Stück deutsche Kommunikationsgeschichte. Er war einer der ersten Chefs eines deutschen Großkonzerns, die eine klare politische Haltung erkennen ließen, ohne dabei wie ein Manager zu klingen.

Busch stammt aus der Mittelschicht. Der Vater leitete eine Hauptschule, die Mutter arbeitete bei der Sparkasse und kümmerte sich um die Kinder. Obwohl Busch in der Siemens-Stadt Erlangen aufwuchs und studierte, kam der Kontakt zu Siemens erst spät zustande. „Eigentlich wollte ich nach dem Studium nicht zu Siemens. Das war vermutlich meine kleine Revolution gegen Erlangen, wo fast jeder bei Siemens arbeitet oder zumindest Verwandte dort hat“, sagte Busch in einer für ihn ungewöhnlich persönlichen Rede zum Antritt als CEO.

Roland Busch – Busch twittert ebenfalls. Er beschränkt sich bisher weitgehend auf Marketing-Botschaften und politisch unverfängliche Inhalte. Positiv für ihn: Öffentliche Fehltritte hat er sich in den ersten Monaten seiner Amtszeit nicht erlaubt. Foto: Siemens

Sonst sind aus seinem Privatleben bislang nur wenige Details an die Öffentlichkeit gedrungen. Zur Entspannung soll er mit feinem Bleistift MadonnenZeichnungen nach dem Vorbild alter Meister anfertigen. Er heiratete um 7 Uhr morgens und war um 8 Uhr schon wieder im Büro. Oft ist er morgens der erste im Siemens-Fitnesscenter.

Politische Ansichten sind bisher nicht erkennbar. Bei einem Unternehmen mit fast 300.000 Mitarbeitern in 190 Ländern ist die wichtigste Zielgruppe zunächst im eigenen Betrieb. Arbeitnehmervertreter loben einen neuen, kooperativen Stil unter Busch. Er höre zu, kommuniziere offen und frage: „Welche Vorschläge haben Sie?“ Das kommt gut an, nachdem in den vergangenen Jahren vor allem Themen wie Sparprogramme, Reorganisation und die Abspaltung wichtiger Konzernbereiche die betriebsinternen Agenda geprägt hatten und der Teamgeist darunter gelitten hatte.

Busch will Siemens in einen modernen Digitalkonzern umbauen. Auch die Arbeitnehmervertreter halten das für den richtigen Weg. Es bleibe jedoch das Risiko, dass es dem Konzern nicht gelingt, die Belegschaft in der Kürze der Zeit mitzunehmen, warnte Gesamtbetriebsratschefin Birgit Steinborn in einem Interview. Viele ältere Beschäftigte würden inzwischen sagen: „Wenn ich ein gutes Angebot bekomme, dann gehe ich.“ Wer solche Sätze hört, versteht, warum Busch sich zunächst auf das eigene Haus konzentriert.

Wer hat die bessere Medienpräsenz?

2020 war ein vergleichsweise stilles Jahr für Joe Kaeser, vielleicht weil er seinem designierten Nachfolger nicht die Show stehlen wollte. Doch spätestens seit der Amtsübergabe Anfang Februar läuft Kaeser zu neuer medialer Höchstform auf. 1.180 Presseartikel sind seit Anfang des Jahres über ihn erschienen. Busch kommt im gleichen Zeitraum auf lediglich 1.042 Beiträge. Bei den Sozialen Medien ist der Unterschied noch größer: Über 17.100 Beiträge erwähnen Kaeser, rund 70 Prozent mehr als bei Busch. Und Kaeser polarisiert noch immer. Während sein Nachfolger in den Sozialen Medien überwiegend neutral erwähnt wird, sind Joe Kaesers Nennungen besonders oft mit deutlich positiver oder deutlich negativer Tonalität. Auch das Publikuminteressiert sich immer noch deutlich mehr für den Ex-CEO: Über 76.000 Aufrufe verzeichnet der Wikipedia-Eintrag zu Joe Kaeser für das Jahr 2021. Sein Nachfolger kommt nicht einmal auf die Hälfte. Die Google-Suchanfragen zeichnen ein ähnliches Bild.

Roland Buschs Tweets (16.780 Follower) klingen noch immer ein wenig lustlos. Kaeser hingegen (40.613 Follower) vermisst ganz merklich die große Bühne. Zum 100. Tag seines Abschieds schrieb er auf Linkedin: „Wie ist das Leben außerhalb einer großen Firma? Ich sage: Auch da draußen gibt es Leben! Und es ist wirklich gut. Die ersten 100 Tage waren großartig – etwas geschäftiger, als ich erwartet hatte, aber sehr erfüllend in vielen wichtigen Punkten.“ Und später im Text: „Bitte schreibt mir die Themen, die EUCH interessieren, die will ich aufgreifen.“ Er klingt noch immer wie der oberste Influencer der Deutschland AG.

Wo treten sie auf?

Im Juni sprach Kaeser auf dem Parteitag der Grünen und erhob die Stimme für Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, die mit „größter Glaubwürdigkeit“ für eine nachhaltige und langfristige Erneuerung stehe. Er mache sich Sorgen um die Zukunft unseres Landes und beteilige sich jetzt als „engagierter Bürger“ an Debatten, so Kaeser später in einem seiner zahlreichen Interviews.

Busch konzentrierte sich in den ersten Wochen nach seinem Amtsantritt zunächst auf die Innenwirkung. Im Video-Podcast „Busch unplugged“ trat er in Lederjacke auf, zwei Mitarbeiter spielten dazu Gitarre. Mit dem Hamburger Bürgermeister eröffnete er eine autonome S-Bahn, er sprach auch auf der IAA Mobility. Die ganz große Bühne hat Busch bisher gemieden, vielleicht bewusst, um nicht mit seinem Vorgänger gemessen zu werden.

Wer berät sie?

Anfang März beförderte Busch seine langjährige Kommunikationsmanagerin Christiane Ribeiro zum Head of CEO-Communications. Sie arbeitet mit ihrem fünfköpfigen Team eng mit Buschs Büroleiter Alex Stübler zusammen. Einen Monat später teilte Busch dann den überraschten Siemens-Kommunikatoren per Videokonferenz mit, dass die einflussreiche Kommunikationschefin Clarissa Haller das Unternehmen nach fünf Jahren „sofort“ und „in gegenseitigem Einverständnis“ verlassen werde. Es habe „unterschiedliche Auffassungen über die künftige Ausrichtung der Kommunikation gegeben“, berichtete das „Manager Magazin“, ohne diese jedoch im Detail zu benennen. Seitdem ist viel über die Gründe des plötzlichen Abgangs spekuliert worden. „Ich habe immer darauf geachtet, nicht für Arschlöcher zu arbeiten. Denn wenn man für Arschlöcher arbeitet, dann macht das was mit einem“, sagte die entspannt wirkende Haller im September auf einer Diskussionsveranstaltung im Rahmen des Kommunikationskongresses. Den Siemens-Chef erwähnte sie dabei nicht.

Seit 1. Oktober steht die gebürtige Engländerin Lynette Jackson an der Spitze der Siemens-Kommunikation. Auch sie tritt damit eine schwere Nachfolge an. Ribeiro soll jetzt an Jackson berichten, schrieb der „PR Report“. An Haller berichtete sie zum Ende hin nicht.

Bisherige Hoch- und Tiefpunkte?

Busch hat die ersten Monate seiner Amtszeit ohne echte Tiefpunkte überstanden. Die Zahlen sind gut. Zwischen April und Juni hat sich der Nettogewinn im Vorjahresvergleich fast verdreifacht. Der Umsatz legte um 44 Prozent zu. Doch ein Dämpfer war, dass der Aktienkurs im Juni sank, nachdem Busch auf dem virtuellen Kapitalmarkttag erstmals seine neue Strategie vorgestellt und höhere Renditeziele verkündet hatte. Es war, als hätte die Finanzbranche die guten Zahlen und Anfangserfolge der vorausgegangenen Monate gar nicht wahrgenommen. Statt fünf Prozent will Siemens jetzt mit fünf bis sieben Prozent wachsen – zu wenig, um echte Euphorie an den Börsen auszulösen.

Kaesers größter Tiefpunkt war ein Auftrag über 18 Millionen Euro. Es ging um die Lieferung von Signaltechnik für einen Zug in Australien, mit dem Steinkohle transportiert werden soll. Immer wieder hatte sich Kaeser öffentlich für nachhaltiges Wirtschaften eingesetzt. Im Shitstorm um den Kohleauftrag zerplatzten seine Worthülsen. Dieser Fehler wird seinem Nachfolger so wohl nicht passieren.

Sieger im CEO-Duell…

… ist noch nicht klar. Es wäre nicht fair, das Lebenswerk eines erfolgsverwöhnten CEOs mit den ersten Monaten seines Nachfolgers zu vergleichen. Doch Busch wird aufholen müssen, um in der öffentlichen Wahrnehmung mit seinem Vorgänger aufzuschließen und seine eigene Rolle auch nach außen überzeugend auszufüllen. In einem Interview im Dezember, kurz vor seinem Abschied, spielte Kaeser mit der Idee, ein Buch zu schreiben. „Es gibt viele Management-Ratgeber, die einem nahebringen wollen, wie man aufsteigt oder etwas Neues beginnt. Aber es gibt keinen, der einem erklärt, wie man richtig aufhört.“ Ein Scherz? Vielleicht. Kaeser selbst fällt das Aufhören ganz offenbar am schwersten.


Janis Vougioukas ist Managing Partner der Kommunikationsberatung KEYNOTE.
Erschienen im Magazin KOM Ausgabe 5/21

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